Anfang Oktober wurde in Wien im Rahmen der Digital Days 2020 erneut der Hedy Lamarr Preis verliehen. Die komplette Verleihung können Sie hier anschauen.
Diese Auszeichnung bringt Frauen, die in der IT Herausragendes, leisten ins Rampenlicht. Auch uns bei DreiKreis ist ein Anliegen, Vorreiterinnen unserer Branche sichtbarer zu machen. Wir haben Keynote, Laudatio und die Rede der Preisträgerin, Laura Nenzi, für Sie zusammengefasst.

Schönheit, Erfolg, Skandale… und Intellekt?
Hedy Lamarr, ein Role Model für Wissenschaftlerinnen? Diese Frage betrachtete Barbara Haas, Chefredakteurin Wienerin, in ihrer Keynote. Die als schönste Frau der Welt gefeierte Schauspielerin wurde bekannt durch Hollywood-Filme, Nacktszenenskandale, 6 Ehen, Kaufhausdiebstahl und reichlich Schönheitsoperationen.
Aber wer stand hinter dieser zur Ikone stilisierten Fassade und warum gibt es einen Preis, der ihren Namen trägt? Wer war Hedy Lamarr, 1914 geboren als Hedwig Kiesler in Döbling, wenn sie nicht Filmproduzent*innen und Kinogänger*innen gleichermaßen verzauberte?

Kriegsmaschinerie gegen
Nazideutschland
Fünf Jahre zuvor ihrer ersten Ehe mit einem
österreichischen Munitionshersteller im
Vorkriegs-Wien entkommen, brachte die
besorgniserregende Situation in Europa
Hedy Lamarr, die sich seit ihrer Kindheit
als Erfinderin sah, auf eine Idee. Sie wollte
Großbritannien gegen Nazideutschland
unterstützen und, so wird sie oft zitiert,
„Chancengleichheit für die Briten herstellen“.
Gemeinsam mit Komponist und Pianist George Antheil entwickelte sie ihre Erfindung, die eine sichere Radio-Kommunikation zwischen einem Kriegsschiff und dem von dort abgeschossenen Torpedo ermöglichen sollte.
Lamarrs Frequenzsprungverfahren kam zu früh – es wurde erst Jahrzehnte später eingesetzt. Der heutige Wert: geschätzt 30 Milliarden Dollar.
Sie wollte die Steuerbarkeit von Geschossen verbessern und ausschließen, dass diese von feindlichen Interferenzen gestört würden (für die vollständige Geschichte ihrer Erfindung, dem Frequenzsprungverfahren, verweisen wir bereits hier auf den nächsten Artikel, Hedy Lamarr, verkanntes Genie – Vorbild für Wissenschaftlerinnen heute).
Propaganda statt Publikation
Doch das amerikanische Militär empfahl der 27-jährigen, statt sich an Erfindungen zu versuchen, lieber Küsse zu verkaufen und die Moral der Soldaten zu stützen. Wie frustrierend muss es für einen regen und brillant-innovativen Geist gewesen sein, von MGM mit der Rolle in einem drittklassigen und halbseidenen Film bedacht zu werden, der die Männer an der Front bei Laune halten sollte?
Die Welt sollte noch 45 Jahre brauchen, Hedy Lamarr als Erfinderin und ihre Idee als Grundlage für Technologien wie Bluetooth anzuerkennen. Erst 1990 schrieb das Forbes Magazin über sie „Schön, ja. Dumm, nein!“
Wissenschaftlerinnen heute: Anerkannt, respektiert, gleichberechtigt?
Hedy Lamarrs Geschichte ist tragisch. Doch steht sie damit allein?

(c) Urban Innovation Vienna/David Bohmann
In ihrer Keynote zieht Haas Parallelen zum heutigen Umgang mit weiblichen Rollenbildern. Und stellt dabei Erschreckendes fest: Auch heute würden Frauen stark stereotypisiert, vielfach auf Aussehen und Sexappeal reduziert. Bei Influencerinnen (Social Media, und in Frauenzeitschriften), sagt sie, gehe es vorwiegend um „typisch weibliche“ Themen – auch 2020. Weibliche Expertise dagegen sei deutlich unterrepräsentiert.
Die Chefredakteurin führt aus: „Seit Corona verschärft sich die Situation. Wer hat uns die Krise erklärt? Das waren zu 75 % Männer.“
Stereotypisiert und unterrepräsentiert – auch heute!
Selbst Maschinen können diskriminieren. Haas verweist auf Fälle diskriminierender Intelligenz (KI): Seifenspender und selbstfahrende Fahrzeuge, die Personen mit dunklerer Hautfarbe nicht als Menschen identifizieren und Kreditkartenalgorithmen, die Frauen bei gleicher Voraussetzung einen engeren Rahmen stecken. Warum? Haas hat die Antwort: „Weil sie von weißen, männlichen Programmierern entwickelt werden!“
Dass Hedy Lamarr ein Vorbild für Wissenschaftlerinnen sei, zeige sich, so die Chefredakteurin, trotz und vor allem aufgrund ihrer brüchigen Biografie. Denn diese beweise, dass die ihr zugedachte Rolle in einem unauflöslichen Widerspruch zu dem ihr innewohnenden Talent gestanden habe.
Role Models müssen sichtbarer werden
Professorinnen Martina Lindorfer und Laura Kovacs, beide Mitglieder der Jury von der TU Wien, betonten in der anschließenden Laudatio, wie wichtig die Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft als Vorbildfunktion sei.
Wir brauchen dringend weibliche Vorbilder!
Über die diesjährige Preisträgerin sagte Professor Kovacs: „Die Epidemie zeigt deutlich, wie sehr unsere Gesellschaft von Softwaretechnologie bestimmt wird. Wir nutzen autonome Geräte, Contact-Tracing, soziale Medien und all diese Plattformen basieren auf künstlicher Intelligenz. Dabei stellen wir nur selten die besorgniserregende Frage nach der Sicherheit dieser Systeme.“

(c) Urban Innovation Vienna/David Bohmann
In besonderem Maße sei daher die Forschung von Preisträgerin Laura Nenzi (PostDoc Researcher, Informatik, TU Wien) bedeutsam, die Logik und Mathematik verbinde, um vorherzusagen und zu erklären, wie sich KI-gesteuerte Maschinen verhalten werden.
Wir müssen Technik verstehen
Die Italienerin Laura Nenzi betonte in ihrer Dankesrede, wie wichtig es sei, sich mit den Systemen, die wir alle nutzen, vertraut zu machen. „In einer Gesellschaft, in der Technologie alles bestimmt, sollte jede*r eine Vorstellung davon haben, was sie*er täglich benutzt.
Jede*r sollte für Technologie ein Grundverständnis haben!
Es ist mir ein besonderes Anliegen, Technologie verständlicher zu machen, Menschen zu erreichen, die sich damit sonst nicht befassen.“
Noch mehr Lamarr
Unterhaltung und Information zu Hedy Lamarr gibt es in dem Dokumentarfilm „Bombshell – The Hedy Lamarr Story“ (2017, Regie: Alexandra Dean).
Freuen Sie sich auf einen ausführlichen Artikel zu Hedy Lamarr bei DreiKreis, ebenso wie ein Interview mit Preisträgerin Laura Nenzi in den kommenden Wochen!